Geht doch! (Extra: Wahrnehmungspsychologie)


„Von mir kann man keine schönen Fotos machen!“

Jeder, der irgendwie fotografiert, kennt solche Sätze. Das Schlimme ist, dass so was meistens von Menschen geäußert wird, die so ein Gejammer gar nicht nötig haben. Meine beste Tanzlehrerin der Welt ist so jemand. Steter Tropfen höhlt den Stein, es hat einige Jahre und unzählige Abschlussballfotos gebraucht, um diese Einstellung zu ändern. Schließlich haben wir es geschafft, Isi zu einem Shooting zu überreden – es war nur minimale Gewaltanwendung notwendig (Profitip: immer einen alten Kartoffelsack und ein wenig Chloroform zur Hand haben!).

Eigentlich war ein Shooting „Hip-Hop vs. Ballett“ geplant, aber leider ist uns das zweite Model kurzfristig ausgefallen (noch mal zurück zu der Idee mit dem Kartoffelsack…), so dass wir uns komplett auf unser jetzt einziges Model konzentrieren konnten. Es entwickelte sich schnell eine Art Arbeitsteilung: Gölzi hatte diverse Ideen, die alle was mit Hip-Hop Action zu tun hatten und Isi einiges an Kondition und Körperbeherrschung abverlangten, was sie mit bewunderungswürdiger Eleganz und Ausdauer bewältigte.  Ich habe mich recht schnell darauf beschränkt, zwischen den Serien die Momente der Entspannung zu nutzen, um genau die andere, entspannte, vielleicht tiefere Seite festzuhalten. Wo Tobi Action und ausgefallene Posen gesucht hat, ging es mir darum, Isi zu erwischen. Gerade dadurch, dass unser Model sich eigentlich auf ganz andere Dinge konzentriert hat, war das ziemlich einfach.

Das Foto, das ich hier zeige, ist eines der letzen Bilder des Shootings. Man sieht unserem Model nicht an, dass sie zweieinhalb anstrengende Stunden hinter sich hat, im Gegenteil. Es ist schön zu sehen, wie viel Spaß ihr die Arbeit mit uns gemacht hat. Mir ging es hier darum, so etwas im Stil eines Glamour- oder Coverfotos hinzubekommen. Dementsprechend ist auch die Nachbearbeitung ausgefallen. Ein wenig Weichzeichner hier, ein bisschen mehr Licht da und immer darauf geachtet, eben nicht den Plastiklook zu erzeugen, der einem von jeder Fernsehzeitschrift entgegen springt.

Das Lichtsetup für das Foto war denkbar einfach: die 1,80er Octobox schön nah ran um weiches Licht zu bekommen, ein wenig links vom Model, damit es akzentuierte Schatten gibt. Das ist alles.

Kommen wir zurück zum Anfang. Die Sache mit dem Jammern auf hohem Niveau und dem Grund dafür. Natürlich kann es sein, dass es tatsächlich Menschen gibt, die auf Fotos nicht gut aussehen (ich glaube nicht daran!) oder „Fotografen“, die ihr Handwerk nicht verstehen (schon eher). Es gibt da aber auch noch eine andere, vielleicht wissenschaftlichere Erklärung. Der Eindruck, man sei auf Fotos irgendwie hässlich, hängt mit etwas zusammen, dass sich Mere-Exposure-Effekt (Zajonc, 1968) nennt. Unterm Strich geht es darum, dass man sich an das gewöhnt bzw. das als angenehm empfindet, was man häufiger sieht.

Im Zusammenhang mit der Fotografie gibt es dazu mehrere (durchaus lesenswerte) Arbeiten. Die meines Wissens nach erste – Mita, Dermer, Knight, 1977 – fasst auch schon alle für uns Fotografen wichtigen Dinge zusammen. Es ist so, dass Menschen sich selbst am häufigsten im Spiegel und damit spiegelverkehrt sehen. Weil kein Gesicht komplett symmetrisch ist, unterscheidet sich das Foto subtil von dem Bild, das der Betrachter eigentlich von sich selbst hat. Er findet es deutlich weniger attraktiv.

Diese Erkenntnis selbst hilft uns natürlich nicht gegen das Jammern (verfolgt man die Idee des MEE konsequent weiter, erklärt das auch, warum gerade die attraktiveren Models so sehr jammern: sie schauen öfter in den Spiegel), erlaubt aber immerhin eine Antwort, die über ein anbiederndes Kompliment hinaus geht. (Und einen gleichzeitig je nach Tagesform als Erklärbär oder Klugscheißer outet, wie ich es hier gerade getan habe.)

Ich bin davon überzeugt, dass es unsere Aufgabe ist, den Menschen vor der Kamera zu erkunden und herauszufinden, wie wir diesem Menschen fotografisch gerecht werden können. Manchmal ist es auch unsere Aufgabe, den anderen Menschen in unserem Model zu finden. Vor allem ist es aber unsere Pflicht, dafür zu sorgen, dass unsere Models Spaß bei ihrer Arbeit haben.


2 Antworten zu „Geht doch! (Extra: Wahrnehmungspsychologie)“

  1. […] dieser Aktion ungewohnter Weise vor der Kamera stand. Als zweites Model hatten wir von Anfang an Isi – die beste Tanzlehrerin der Welt – eingeplant. Sie war sofort Feuer und Flamme als wie […]

  2. […] hat mich sehr gefreut, dass es keine professionellen Hilfsmittel (wie Chloroform oder den Notfallkartoffelsack) brauchte, um Hannah zu überzeugen, mich bei meinem […]